Neue Produkte ins Leben zu rufen, die die Menschen lieben, ist schwierig, da es sich dabei um einen komplexen und langwierigen Prozess handelt. Dieser Prozess verlangt von uns, von unseren Fehlern in einem Umfeld zu lernen, in dem die Behebung von Fehlern nie gut ankommt.
Etwas Großes zu schaffen, setzt sowohl Kreativität als auch Disziplin voraus. Viele Produkte scheitern, weil diese beiden Seiten einander nicht unterstützen, sondern behindern.
Die Einschränkung der Kreativität durch einen strengen, von Managern vorgegebenen Prozess führt zu langweiligen und nutzlosen Produkten. Sich nur auf die Kreativität zu verlassen, bringt dich zwar schnell auf 80 Prozent, aber die wichtigen Details erhalten niemals ihren Feinschliff.
Über viele Jahre habe ich gesehen, wie Produkte an Ego, kreativer Kastration und mangelnder Disziplin gescheitert sind. Heutzutage ist der Bedarf an hochwertigen Produkten zu groß, um Zeit und Talent zu verschwenden.
Durch meine Arbeit bei Translated und Memopal, und indem ich so viele tolle Start-ups beobachtet habe, habe ich eine Methode entwickelt, bei der Kreativität und Disziplin ausgeglichen sind – ein schneller und bereits erprobter Weg, um zurückzugehen und Fehler zu beheben. Er umfasst auch zwei Elemente, die erfolgreiche Produkte gemeinsam haben: Vision und Psychologie.
Das Team besteht mindestens aus:
- Dem Produktmanager, der die Aufgabe hat zu führen.
- Dem/den Anwender/n, die die Aufgabe haben, die Schmerzpunkte und ihre Bedeutung zur Sprache zu bringen. Der Anwender ist ein Frühanwender, der ein Interesse daran gezeigt hat, das Produkt zu kaufen beziehungsweise zu verwenden.
- Der/die Entwickler, die die Aufgabe haben, Lösungen für den Schmerzpunkt des Anwenders zu finden und die Kosten dafür abzuschätzen.
Wenn du Einzelgründer bist, schlage ich dir vor, die Rolle des Produktmanagers zu übernehmen und wenn möglich jemanden als Entwickler mit ins Boot zu nehmen. Einzelgründer können zwar PM und Entwickler in Personalunion sein; optimal ist das jedoch nicht, da dadurch ein natürlicher Drang entsteht, in der eigenen Komfortzone zu bleiben – etwas, das mit dieser Methode vermieden werden soll.
Die meisten Menschen entwickeln Produkte, ohne den Anwender in der Anfangsphase einzubeziehen. Ich halte das für eine schlechte Idee. Um ohne den Anwender erfolgreich zu sein, braucht man eine Menge Glück, und Anwender gibt es in viel größeren Mengen als Glück.
Identifiziere Schmerzen
Mehrere einstündige Meetings. Der Anwender stellt den Schmerz vor, den er empfindet. Der Produktmanager stellt Fragen, um Dinge klarzustellen und tiefer nachzuforschen, bis die eigentliche Wurzel des Schmerzpunktes gefunden ist. Die Entwickler sind dabei stille Beobachter. Hier kommt dann die Qualität des PM zum Vorschein: Wie tief taucht er in die Wurzeln des Schmerzpunktes ein, ohne allen anderen auf die Nerven zu gehen? Der Anwender wird normalerweise versuchen, dem PM zu gefallen, indem er sagt, dass er das Problem gerne gelöst hätte. Der PM sollte allerdings nicht darauf hören, was die Anwender sagen: Er sollte beobachten, was sie tun. Dazu schlage ich oft vor, folgende Idee zu simulieren: Nehmen wir an, es gibt bereits ein Produkt, das das Problem löst, X heißt und Y kostet. Ich sage dann: „Möchten Sie, dass ich Ihnen sofort eines beschaffe?” Wenn der Anwender „Ja” sagt, hast du einen wahrgenommenen Schmerz identifiziert, der es wert ist zu handeln. Sagt der Anwender „Nein” oder führt zusätzliche Anforderungen und Komplikationen auf, sollte der Prozess von vorne beginnen. Der PM wandelt dann jeden Schmerzpunkt in eine Aufgabe um.
Bringe Visionen ein
Mehrere 1-stündige Meetings, bei denen besprochen wird, wie das Produkt idealerweise aussehen wird. Die Teilnehmer sollten dabei nicht das Gefühl haben, dass sie das beschreiben sollen, was sie jetzt bauen würden, sondern was sie eines Tages für möglich halten. Der Produktmanager fragt die Entwickler, wie sie glauben, dass die Erwartungen der Anwender übertroffen werden könnten, wobei die wahrgenommenen Schmerzen berücksichtigt werden. Sie werden darüber sprechen, was die Technologie potentiell leisten kann. Der PM sollte dann den Anwender das Gleiche fragen und am Ende seinen eigenen Standpunkt darlegen. Normalerweise hat der PM die Vision, aber dadurch, dass er als letzter spricht, kann die Kreativität der Teilnehmer angestachelt werden. Die Diskussion sollte so lange dauern, bis der PM zustimmt, dass das zukünftige Produkt technisch machbar ist und dem Anwender gefällt. Der Produktmanager setzt die Ideen in Aufgaben um.
Gib etwas Pathos hinzu
Die meisten erfolgreichen Produkte bieten Anwendern mehr als nur die Lösung für ein wahrgenommenes Problem.
Die besten Produkte haben als gemeinsames Element, dass Eitelkeit, Faulheit und der Wunsch nach etwas, das wir nicht haben können, angesprochen werden. Diese Meetings funktionieren am besten, wenn nur der PM und der Anwender in einem intimen Gespräch dabei sind. Der PM sollte den Anwender dazu bringen, über seine Arbeit oder sein Leben zu sprechen und dabei für einen Moment das Produkt zu vergessen. Der PM sollte den Anwender fragen, was ihn besser aussehen lässt als seine Mitmenschen, was ihn langweilt und was er gerne hätte, aber nicht haben kann. Dies wird in Aufgaben umgesetzt.
Lege Prioritäten und Releases fest
Alle aus den Schmerzpunkten, den Visionen und der Psychologie abgeleiteten Aufgaben werden in eine Tabelle eingetragen, die wie folgt aussieht:
Aufgabe | Kosten (Euro) | Auswirkung (Euro) | Priorität |
---|---|---|---|
Anwender sollen mit der rechten Maustaste auf das Foto klicken, um es weiterzuleiten | 2,000 | 10,000 | 5.0 |
Release 1 | |||
Fotos vergrößern | 1,500 | 5,000 | 3.3 |
Android-Support | 10,000 | 10,000 | 1.0 |
Release 2 | |||
Automatische Organisation der Fotos | 50,000 | 25,000 | 0.5 |
Automatische Darstellung der besten Fotos | 20,000 | 5,000 | 0.2 |
Release 3 |
Die Kosten sind eine Schätzung der Gesamtkosten für die Aufgabe; dieser Punkt sollte nur von den Technikern ausgefüllt werden. Die Auswirkung ist eine Punktezahl oder ein wirtschaftlicher Wert für die Aufgabe. Dieser sollte nur von den Anwendern ausgefüllt werden – wenn möglich, ohne die Kosten zu sehen. Der wichtigste Aspekt ist nicht die Zahl selbst, sondern das Verhältnis zwischen den Aufgaben. Wenn eine Aufgabe doppelt so wertvoll ist wie eine andere, sollte die Auswirkung doppelt so groß sein. Der PM sollte die Techniker und den Anwender wiederholt fragen, um sicherzugehen, dass die Schätzungen korrekt sind. Der PM berechnet die Priorität als den Quotienten aus Auswirkung und Kosten und listet die Aufgaben nach ihrer Priorität in absteigender Reihenfolge. Dann zieht der PM gemeinsam mit dem Anwender und den Technikern horizontale Linien, die die geplanten Releases darstellen.
Indem die Aufgaben so gruppiert werden, wird sichergestellt, dass die erste Version das maximale Preis-Leistungsverhältnis bietet. Dies ist entscheidend für die Produkt-/Markttauglichkeit. Wenn der gewünschte Wertbeitrag im ersten Release nicht klar ist, sollte der PM die bisherigen Zahlen in Frage stellen und/oder den Wertbeitrag überdenken. So findet man eventuell heraus, dass einer der angesprochenen Schmerzpunkte es gar nicht wert ist, bearbeitet zu werden.
Bewerte
Gib das Produkt in Version 1 heraus und bitte den Anwender, es zu nutzen. Bitte um Vorbestellungen mit einem fairen Rabatt, da es sich um ein Testprodukt handelt. Wenn der Anwender vorbestellt, gehe zu Version 2 und wiederhole das Ganze.
Wenn der Anwender keine Vorbestellung macht, da er glaubt, dass das Produkt den Schmerzpunkt nicht behebt, gehe zurück und identifiziere die Schmerzpunkte neu. Wenn der Anwender auch nach mehreren Zyklen immer noch nicht vorbestellt, sollte der schwächste Faktor bei Anwender, Entwickler bzw. PM ausgetauscht werden und der Zyklus von vorne beginnen.
Wenn du gute Produkte herstellen möchtest, musst du – abgesehen von Kreativität und Disziplin – entweder große Opfer bringen oder auf viel Glück hoffen. Wenn du tolle Produkte herstellen möchtest, brauchst du beides.